Raus aus der Lebensversicherung


Raus aus der Lebensversicherung

3,5 Milliarden Euro. Auf diese Summe können sieben Millionen Versicherungskunden zugreifen. Das jedenfalls hat die Verbraucherzentrale Hamburg ermittelt. Wer nämlich zwischen 1994 und 2001 eine Kapital-Lebensversicherung oder eine private Rentenversicherung abgeschlossen und diese inzwischen gekündigt (oder beitragsfrei gestellt) hat, dem steht mehr Geld zu, als die Versicherungen bisher gezahlt haben.

Die Hälfte der Beiträge zurück

Der Bundesgerichtshof hat mit seinem Urteil vom 12. Oktober 2005 (IV ZR 162/03, 177/03 und 245/03) den Verbrauchern den Rücken gestärkt. Demnach steht Versicherungskunden ein höherer Mindest-Rückkaufswert zu als oftmals gezahlt wird. Kerstin Becker-Eiselen von der Verbraucherzentrale Hamburg: „Als Faustregel kann man festhalten, dass der Verbraucher etwas weniger als die Hälfte der eingezahlten Beiträge zurückerhalten muss.“ Millionen Kunden können also auf Nachzahlungen hoffen. Denn oft haben sie sehr wenig bis gar nichts von der Versicherungen ausgezahlt bekommen.

Die Sturheit der Versicherungen

Doch die Versicherungen mauern. Es geht ja um sehr viel Geld. Das hat auch Isabelle A. und ihr Mann aus Emmerich am Niederrhein erfahren. Sie haben fünf Jahre lang in ihre Lebensversicherung bei der Stuttgarter eingezahlt, insgesamt 4.446 Euro. Nach der Kündigung bekamen sie nur 50 Euro zurück. Auch Harald S. aus Braunschweig fühlt sich von seiner Versicherung, der Skandia, verschaukelt. Er zahlte zwei Jahre lang ein, dann musste er kündigen. Von den 13.953 Euro eingezahlten Beiträgen hat er lediglich 1.749 Euro zurückerhalten. Nun fragt er sich, wo die restlichen 12.204 Euro geblieben sind.

Plusminus hat bei Skandia nachgefragt. Antwort: „Ein Kennzeichen dieser Gestaltung ist, dass die Abschluss- und Vertriebskosten der Versicherung insbesondere in den ersten Jahren des Vertrages den gezahlten Beiträgen entnommen werden. … Aus diesem Grund steht bei derartigen Versicherungen in den ersten Jahren nur ein geringer Teil der Beiträge zur Bildung einer beitragsfreien Versicherungssumme beziehungsweise eines Rückkaufswertes zur Verfügung.“ Die Skandia hat von den eingezahlten Beiträgen von 13.953 Euro unter anderem folgende Kosten abgezogen: 11.639 Euro an Abschluss-, 108 Euro Verwaltungs-, 521 Euro Risikokosten und 92 Euro Stornoabzug.
 

Hartnäckig sein

Betroffene Verbraucher sollten von ihrem Versicherer detaillierte Auskunft verlangen, wie hoch der „Stornoabzug“ und wie hoch der Mindest-Rückkaufswert bei Vertragsende war (Musterbrief bei der Verbraucherzentrale Hamburg). Wer keine, eine ausweichende oder eine hinhaltende Antwort von seinem Versicherer bekommen hat, kann sich bei der Verbraucherzentrale Hamburg über die geplanten Sammelklagen informieren. Wer einen Beitrag vom Versicherer bekommen hat und wissen möchte, ob der stimmt, kann dort auch eine rechnerische Prüfung durchführen lassen (Kosten: 40 Euro).

Viele Versicherer haben bereits gezahlt. Doch immer noch haben nur etwa zehn Prozent der betroffenen Verbraucher reagiert und bei ihrer Versicherungen eine Nachzahlung angemahnt. Isabelle A. aus Emmerich hatte mit ihrem Brief Erfolg. Die Stuttgarter hat noch mal 1.213 Euro rausgerückt.
 

Verjährung und Zinszahlungen

Nach Auffassung der Versicherer sind schon heute alle Ansprüche von Verträgen verjährt, die bis 2002 beendet wurden. Da ist der Hamburger Rechtsanwalt Joachim Bluhm anderer Meinung. Er hat damals die Kläger durch die Instanzen zum BGH gebracht und gewonnen. „Bei uns beginnt die Zeitrechnung mit dem Bekanntwerden der BGH-Urteile am 12.10.2005.“ Doch die Verbraucher sollten noch in diesem Jahr reagieren.
Auch haben sie Anspruch auf Zinszahlungen. „Für das verspätet nachgezahlte Kapital können fünf Prozent Verzugszinsen angesetzt werden“, so Rechtsanwalt Bluhm. Er und seine Kollegen hätten mehreren Hundert Euro nur an Zinszahlungen rausholen können.

Betroffene Verträge

Der Bundesgerichtshof hat erst einmal nur über die Lebensversicherungsverträge entschieden, die zwischen 1994 und 2001 abgeschlossen wurden. Für spätere Verträge erwartet die Verbraucherzentrale Hamburg ein ähnliches Urteil. Im Dezember 2007 wurden Klagen gegen die Volksfürsorge, Deutscher Ring, Hamburg-Mannheimer und die Iduna eingereicht. Rechtsanwalt Bluhm: „Sollte sich im Ergebnis dieser Verfahren bestätigen, dass auch die Versicherungsbedingungen ab 2001 unwirksam sind, stünde fest, dass auch diese Verbraucher einen Anspruch auf den Mindestbetrag haben.“

Autor: Rainer Mueller-Delin

Dieser Text informiert über den Plusminus Fernsehbeitrag vom 27.05.2008. Eventuelle spätere Veränderungen des Sachverhaltes sind nicht berücksichtigt.